Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)Ausdruck vom 21.11.2024 13:58 Uhr
Chancen und Risiken von DiGA – Forderungen der KVB
München, 13. März 2023: Das Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) seit dem Jahr 2020 bricht mit seit Jahrzehnten etablierten Genehmigungsverfahren, die in Deutschland für die Zulassung von Medizinprodukten und Arzneimitteln notwendig sind: Normalerweise muss ein Hersteller umfangreiche Nachweise für die Wirksamkeit seiner Produkte vorlegen, bevor das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Genehmigung erteilt. Anders beim Fast-Track-Verfahren: Eine Aufnahme von Apps in das DiGA-Verzeichnis beim BfArM und die damit verbundene Erstattungspflicht durch die Krankenkassen ermöglicht es, dass Gesundheitsanwendungen für ein oder sogar zwei Jahre auch ohne Evidenz für jegliche Wirksamkeit in die Versorgung kommen können. Zwar können DiGA bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis wieder aus dem Verzeichnis gestrichen werden, zwischenzeitlich setzt das Fast-Track-Verfahren den Herstellern im ersten Jahr aber kaum Grenzen beim Festsetzen der Preise. Das kann zu überhöhten Preisen führen, da die App-Anbieter teils horrende Erstattungen verlangen: Für eine 90-Tage-Lizenz werden im Durchschnitt über 500 Euro aufgerufen – weit mehr als für vergleichbare Apps am freien Markt. Der Höchstpreis liegt aktuell bei 2.077 Euro – pro Quartal.
Auch der GKV-Spitzenverband kritisierte in einer im Januar 2023 veröffentlichten Bilanz diese sehr unübliche Preisfindung sowie die fehlende Evidenz: So sei es bei vielen Anwendungen nicht absehbar, inwieweit diese dauerhaft von Nutzen seien. Noch immer sind lediglich ein Drittel der DiGA dauerhaft in das Verzeichnis aufgenommen (Stand Januar 2023) und einige DiGA wurden bereits wieder aus dem Verzeichnis gestrichen. Die Krankenkassen mussten also Mitgliedsbeiträge, die für sinnvolle medizinische Verfahren oft fehlen, für Apps mit durchaus fragwürdigem Nutzen ausgeben. Gerade bei Menschen mit psychischen Erkrankungen können Apps, die nicht oder nicht in ausreichendem Maße wirken, sogar Schaden verursachen.
Neben dem GKV-Spitzenverband kommen auch die Techniker Krankenkasse 2022 in einer Auswertung sowie der AOK-Bundesverband in einer Patientenbefragung zu einer eher skeptischen Einschätzung: Die Zufriedenheit der Patienten sei mäßig und hohe Abbruchzahlen sprächen auch dafür, dass der Nutzwert für die Patienten eher negativ bewertet wird. So sei es nicht verwunderlich, dass derzeit lediglich fünf Prozent der niedergelassenen Ärzte DiGA verschreiben.
Ein Ende 2022 veröffentlichtes wissenschaftliches Gutachten der KVB untermauerte die Kritikpunkte der Krankenkassen: Den untersuchten DiGA fehlt es vielfach an wissenschaftlicher Tiefe und an Evidenz als Basis für die Aufnahme in das bundesweite DiGA-Verzeichnis. Die Analyse zeigt, dass Wirksamkeitsstudien der DiGA den wissenschaftlichen Standards nicht genügen und diese folglich keine Grundlage haben, in Bezug auf die Wirksamkeit dauerhaft in die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung zu gelangen. Selbst nach Abschluss der Studien zur Nutzenbewertung blieben DiGA mit unzureichender wissenschaftlicher Güte in der Versorgung. So zeigten die Bewertungsergebnisse deutlich, dass die Studien zu DiGA in der Mehrzahl ein beträchtliches Verzerrungspotential aufweisen.
Aus Sicht der KVB kann man den DiGA nicht per se den Nutzen absprechen. Es geht darum, die positiven Auswirkungen von digitalen Gesundheitsanwendungen zu untersuchen und – sofern diese sich sinnvoll in ein gutes ärztliches beziehungsweise psychotherapeutisches Behandlungskonzept einbinden lassen – auch möglichst vielen Patienten zur Verfügung zu stellen. Entscheidend für die Anwendung sollte also der medizinische Nutzen für die Patienten sein.
Folgende Punkte sind daher aus Sicht der KVB wichtig
- Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist an sich positiv zu beurteilen. Sie darf allerdings kein Selbstzweck sein und keinesfalls der Gewinnmaximierung großer Wirtschaftsunternehmen dienen. Son- dern sie muss eine Unterstützung sein für Diagnostik und Therapie durch die dafür ausgebildeten Ärzte und Psychotherapeuten.
- Bei fehlender Evidenz für die Wirksamkeit einer Anwendung darf eine DiGA, anders als bisher, keine Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis des BfArm erhalten. Das gleiche gilt auch für DiGA, bei denen hohe Abbruchquoten zu verzeichnen sind.
- Unverzichtbare Voraussetzung für jede DiGA-Verordnung muss eine sorgfältige Diagnostik und Indikationsstellung sein.
- Das vertrauensvolle Verhältnis des Patienten zu seinem Arzt beziehungsweise Psychotherapeut darf nicht durch Eingriffe Dritter, seien es Krankenkassen oder App-Anbieter, gefährdet werden.
- Bei "Psycho-Apps" ist ein gutes Krisenmanagement unverzichtbar, das heißt, Patientinnen und Patienten brauchen eine Psychotherapeutin oder Psychotherapeut als festen Ansprechpartner im Krisenfall.
- Unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten darf keine Pflicht für Ärzte und Psychotherapeuten bestehen, Apps zu verordnen. Sie können diese aber natürlich therapiebegleitend einsetzen, wenn sie dies für die Gesundwerdung des Patienten für sinnvoll halten.
- Es muss rechtssicher ausgeschlossen sein, dass Ärzte und Psychotherapeuten dafür haftbar gemacht werden können, falls Daten aus den Apps durch Dritte zweckentfremdet genutzt werden.
- Den Patienten wird empfohlen, sorgsam mit ihren Daten umzugehen und bei der Nutzung der Apps dringend darauf zu achten, dass sie nicht leichtfertig sensible Gesundheitsdaten preisgeben, die von den Anbietern der Apps eventuell für kommerzielle Zwecke verwendet werden könnten.