Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)Ausdruck vom 20.12.2024 23:10 Uhr
Eine funktionierende intersektorale Versorgung braucht niedergelassene Haus- und Fachärzte
Zur 10. Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
München, 16. Mai 2024: Die am 3. Mai veröffentlichte 10. Stellungnahme der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung ist in Teilen ein Frontalangriff auf die niedergelassenen Haus- und Fachärzte. Mit der "Überwindung der Sektorengrenzen des deutschen Gesundheitssystems", so der Titel der neuesten Stellungnahme, meint die Kommission ganz offensichtlich die Auflösung des fachärztlichen ambulanten Sektors.
Dazu hat sie den Abbau der "doppelten Facharztschiene" wieder aus der Mottenkiste geholt. Demnach sollen Fachärzte perspektivisch nur noch an Krankenhäuser angegliedert werden, inklusive an die neuen Level-1i-Kliniken, die gemäß den Vorstellungen der Kommission und von Herrn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach der Heilsbringer für alle Versorgungsprobleme sein sollen. Zudem ermächtigt sie die Krankenhäuser, hausärztliche Versorgung an den Kliniken anzubieten. Zukünftig sollen diese Gesundheitszentren die Primärversorgung der Bevölkerung übernehmen.
Dies zeigt die einseitige Denke eines einseitig besetzen Gremiums. Aus der ursprünglich gut gemeinten Idee einer wissenschaftlichen Beratungskommission wurde eine Lobbyistengruppe der Kliniklandschaft, der jegliches Gespür für die ambulante Versorgung zu fehlen scheint.
Dass Teile der hausärztlichen und die komplette fachärztliche Versorgung künftig über stationäre Strukturen laufen sollen, löst insbesondere in ländlichen Regionen keine Versorgungsprobleme. Ganz im Gegenteil: Die bisherige Struktur aus niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie im Krankenhaus tätigen Fachärzten hat stets als komplementäres System funktioniert – und zwar im Sinne einer an den jeweiligen Bedarf der Patientinnen und Patienten angepassten Versorgungsrealität. Betrachtet man beispielsweise den Fakt, dass Krankenhäuser, vor allem im ländlichen Raum, die Breite der fachärztlichen Versorgung gar nicht vorhalten, kann von einer doppelten Vorhaltung nicht die Rede sein. Dabei muss man sich auch fragen, wo es denn in Zukunft überall noch Kliniken geben wird, wenn die von Karl Lauterbach derzeit forcierte Krankenhausreform greift.
Von der geplanten Abschaffung betroffen wären demnach vor allem die Patientinnen und Patienten, die ihren vertrauten niedergelassenen Haus- und Facharzt verlieren würden und sich in ein staatlich organsiertes, stationäres Gesundheitswesen begeben müssten.
Dazu erklärte der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) Dr. Christian Pfeiffer, Dr. Peter Heinz und Dr. Claudia Ritter-Rupp: "Klar ist: ein 'Weiter so' kann es nicht geben. Bislang etablierten sektorenübergreifenden Versorgungsstrukturen der Vertragsärzteschaft setzt die Kommission mit dem Abbau der 'doppelten Facharztschiene' aber nicht mehr als die vage Idee 'Ausgang ungewiss' entgegen. Eine funktionierende intersektorale Versorgung braucht niedergelassene Fachärzte. Deshalb müssen die jetzigen haus- und fachärztlichen sowie psychotherapeutischen Strukturen im Sinne einer effizienten Patientensteuerung besser verzahnt werden. Eine solche Versorgungssteuerung definiert Gesundheitsversorgung über eine enge Vernetzung zwischen der haus- und der fachärztlichen Versorgung niederschwellig und wohnortnah. Würde man jedoch, wie von der Kommission angedacht, weite Teile des ambulanten Sektors in den stationären Bereich verschieben, käme dies einer weiteren Versorgungsbarriere gleich. Dies setzt die gesundheitliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel."
Dr. Wolfgang Ritter (Landesvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes) erklärt: "Eine Intersektorale Versorgung zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich wird die zukünftige medizinische Versorgung der Bevölkerung nur sowohl sichern als auch auf dem jetzigen qualitativen Niveau halten können, wenn eine Steuerung des Patienten am medizinischen Bedarf durch die hausärztliche Versorgungsebene implementiert wird."
Dr. Gerald Quitterer (Präsident der Bayerischen Landesärztekammer) erklärt: "Überlegungen, die doppelte Facharztschiene abzubauen, sind brandgefährlich – sowohl für das funktionierende System der ambulanten fachärztlichen Versorgung, für die Weiterbildung, die im niedergelassenen Bereich in Bayern durch rund 8.300 Fachärztinnen und -ärzte erfolgt, sowie für die Ausbildung der Medizinischen Fachangestellten. Damit würde nicht nur die Patientenversorgung geschwächt, sondern auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Gesundheitswesen gefährdet. Die hochwertige und flächendeckende fachärztliche Versorgung sowohl in den Krankenhäusern als auch in den Praxen ist ein Qualitätsmerkmal des deutschen Gesundheitswesens. Fachärztinnen und Fachärzte in den Kliniken und in den Praxen nehmen in unterschiedlicher Weise Aufgaben für ihre Patientinnen und Patienten wahr, die gleichermaßen wichtig sind. Die jeweiligen fachärztlichen Versorgungsebenen stellen somit keine Doppelstrukturen dar, sondern sind Ausweis und Garant einer qualitativ hochwertigen, bedarfsgerechten und patientenorientierten Gesundheitsversorgung. Die Forderung der Regierungskommission verunsichert darüber hinaus insbesondere junge, niederlassungswillige Ärztinnen und Ärzte, die den Schritt in die wirtschaftliche Selbstständigkeit gehen wollen."
Dr. Richard Häusler (1. Stellv. Vorsitzender der Allianz fachärztlicher Berufsverbände) erklärt: "Die doppelte Facharztschiene gibt es nicht, denn 90 Prozent der Leistungen im ambulanten Bereich werden in der Klinik gar nicht erbracht. Die Intention der Politik besteht darin, möglichst viele Leistungen aus dem Krankenhaus in die ambulante Medizin zu verlagern. Führend in der ambulanten fachärztlichen Leistungstiefe in Deutschland ist Bayern. In den fachärztlichen Praxen kommt es zu einer immer größeren Leistungserbringung von bisher ausschließlich in Krankenhäusern vorgehaltenen Leistungen (ambulante Operationen, gastroenterologische und kardiologische Leistungen sind nur ein kleiner Teilbereich des Ganzen). Geradezu sinngebend ist die hoch spezialisierte ambulante fachärztliche Medizin, sodass auf zahlreiche Krankenhäuser verzichtet werden kann."