Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)Ausdruck vom 23.11.2024 09:28 Uhr
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- 20.12.2022
Fragen und Antworten zur Behandlung genitalverstümmelter Patientinnen und dem besonderen Fall von Dr. Eiman Tahir
Die KVB nimmt als Körperschaft öffentlichen Rechts eine Doppelfunktion wahr:
- Einerseits verhandelt sie auf Basis der Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als Vertretung ihrer Mitglieder, der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten, mit den Krankenkassen über die Vergütung der Leistungen, und zahlt die Honorare für die erbrachten Leistungen anschließend an die Mitglieder aus.
- Andererseits hat die KVB den gesetzlichen Auftrag, die Abrechnungen ihrer Mitglieder zu kontrollieren und bei Verstößen gegen die bundesweit gültigen Abrechnungsregeln ungerechtfertigt erhaltene Honorare zurückzufordern.
Das Abrechnungssystem in der gesetzlichen Krankenversicherung ist vom Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch SGB V festgelegt. Über die Leistungen, auf die die Versicherten Anspruch haben, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss und die anschließende Umsetzung ist Gegenstand von Verhandlungen im Bewertungsausschuss, dem Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbandes angehören.
Im Ergebnis sind die Leistungen, die in den Praxen erbracht werden und von den Krankenkassen zu bezahlen sind, im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgebildet, der dafür Gebührenordnungspositionen enthält. Jede dieser Positionen ist dann mit einem Preis versehen, der von der KVB maximal bezahlt werden darf.
Denn finanziert werden die Honorare der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten im Wesentlichen aus einer Gesamtvergütung, die die KV von den Krankenkassen erhält. Diese stellt ein Budget dar, das für alle ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen in einem KV-Bezirk zur Verfügung steht.
Neben dem gesetzlichen Auftrag haben die KVen deshalb auch selbst ein elementares Interesse daran, Unregelmäßigkeiten bei den Abrechnungen aufzudecken, da sich jemand, der nicht korrekt abrechnet, unter einem gedeckelten Honorarbudget ungerechtfertigt auf Kosten seiner Kolleginnen und Kollegen bereichert.
Dies hat auch Auswirkungen auf die Patienten: Wenn ein Teil der Praxen unberechtigt viel für seine Patienten abrechnet, fehlt dies den anderen Praxen zur Behandlung ihrer Patienten. Die KV sorgt hier also für Gerechtigkeit im Sinne aller Ärztinnen und Ärzte und deren Patienten.
Die Regeln für die Abrechnung legt allgemein der Gesetzgeber, also der Bundestag, fest. Die konkrete Ausgestaltung der gesetzgeberischen Vorgaben liegt dann beim Gemeinsamen Bundesausschuss mit Sitz in Berlin sowie in der Umsetzung beim GKV-Spitzenverband und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
Gesetzliche Vorgaben und Regelungen in Bundesrichtlinien sehen Aufgreifkriterien vor, die Prüfungen auslösen. Können diese Auffälligkeiten KV-intern nicht geklärt werden, sind vertiefte Prüfungen einzuleiten.
Dabei wird die Abrechnung unter Zuhilfenahme von Dokumentationen des Arztes dahingehend überprüft, ob die Leistungen vollständig und korrekt gemäß den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben erbracht wurden.
Werden dabei fehlerhafte Abrechnungen festgestellt, muss die Vergütung für diese Leistungen zurückgefordert werden.
In einem Plausibilitätsprüfungsverfahren gibt es keinen Antrag auf Praxisbesonderheiten. Einen solchen Antrag gibt es nur bei Richtgrößenprüfungen, wenn es also um die Verordnung von speziellen Arznei- und Hilfsmitteln geht.
Die KVB bemüht sich aber im Rahmen aller Arten von Prüfungen darum, mögliche Besonderheiten von Praxen mit einzubeziehen. Das kann bei einer Körperschaft öffentlichen Rechts allerdings nur im Rahmen der vom Gesetzgeber eröffneten Spielräume erfolgen.
Wenn Leistungen bei der KVB abgerechnet werden, die überhaupt nicht erbracht wurden, hat die KVB keinen Spielraum und muss eventuell bereits ausgezahlte Honorare wieder zurückfordern.
In der Berichterstattung ist dies wiederholt falsch dargestellt worden.
Die Durchschnittswerte anderer Praxen von Frauenärztinnen und Frauenärzten spielen bei einer Plausibilitätsprüfung keine Rolle. Hier kommt es nur auf das Abrechnungsverhalten einer einzelnen Praxis an.
Mit möglichen Geld- oder sogar Gefängnisstrafen hat die KVB nichts zu tun, sie ist ja keine Strafverfolgungsbehörde. Zuständig sind hier die staatsanwaltlichen und strafrechtlichen Instanzen.
Im konkreten Fall der Münchner Frauenärztin Dr. Eiman Tahir, die genitalverstümmelte Patientinnen behandelt, steht die KVB in Bezug auf die Zah-lungsmodalitäten der im Raum stehenden Honorarrückzahlung in Kontakt mit der Ärztin beziehungsweise deren Rechtsanwalt.
Als Körperschaft öffentlichen Rechts gelten für die KVB sehr strenge Vorgaben, was den Datenschutz von Mitglieder- oder auch Patientendaten angeht. Dies ist inzwischen mehrfach auch höchstrichterlich bestätigt.
Deshalb kann die KVB auch im konkreten Fall keine Details zu den beanstandeten Abrechnungen öffentlich machen, außer die betroffene Ärztin würde die KVB insoweit von der Verschwiegenheitspflicht entbinden
Die KVB hat keinen Ermessenspielraum, was die Rückforderung zu Unrecht angeforderter Honorare angeht.
Würde sie auf deren Rückforderung verzichten, entstünde ein Haftungsproblem für die Organisation und die handelnden Personen könnten sich sogar strafbar machen.
Der Vorstand der KVB hat die verantwortlichen Politiker auf Landes- und Bundesebene in mehreren Schreiben in den vergangenen anderthalb Jahren auf den besonderen Fall der Frauenärztin Dr. Eiman Tahir in München hingewiesen.
Die Problematik, dass die Leistungspositionen im EBM nicht auf deren besondere Fallkonstellationen zugeschnitten sind, kann nur durch die Bundesebene (siehe Frage 3) geregelt werden.
Aus Sicht der KVB wäre es allerdings noch sinnvoller, die verantwortungsvolle und aufwändige Beratungs- und Behandlungstätigkeit von Frau Tahir und anderen Ärztinnen und Ärzten, die genitalverstümmelte Patientinnen behandeln, aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung auszugliedern.
Diese Aufgabe sollte durch staatliche Stellen übernommen werden, da es sich hier um eine soziale gesamtgesellschaftliche Herausforderung handelt, die nicht nur von den gesetzlich Versicherten mit ihren Beiträgen finanziert werden sollte.
Die Berater der KVB stehen allen Ärztinnen und Ärzten bei der Erstellung ihrer Abrechnung mit Rat und Tat zur Seite und helfen dabei, mögliche Fehlerquellen zu erkennen und von Vorneherein zu vermeiden.
Wie oben dargestellt, wäre eine Lösung außerhalb des GKV-Systems, ohne die damit verbundene strikte Abrechnungssystematik, aus Sicht der KVB wünschenswert. Der finanzielle Schutz der betroffenen Patientinnen könnte so zum Beispiel über die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 ff. SGB XII sichergestellt werden.
Voraussetzung hierfür wäre eine entsprechende Anerkennung der Umstände als „besondere Lebensverhältnisse" nach § 1 Abs.1 und 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung sozialer Schwierigkeiten.
Denkbar wäre ebenfalls die Schaffung gewisser Sondervergütungen bei ärztlichen Maßnahmen im Rahmen der Genitalverstümmelungsprävention und -bekämpfung außerhalb des GKV-Systems. In jedem Fall sind politische als auch gesetzgeberische Maßnahmen notwendig, wenn diese besondere Problematik langfristig für alle Beteiligten zufriedenstellend geklärt werden soll.
BVF-Berufsverband der Frauenärzte: Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) vertritt die Interessen der Gynäkologinnen und Gynäkologen in Kliniken und Praxen.
Bundesministerium für Gesundheit: Informationen zu Genitalverstümmelung
Bundesärztekammer: Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Mädchen und Frauen vor Genitalverstümmelung schützen
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales: Informationen zu Genitalverstümmelung
Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben: Hilfetelefon
Ja, in Deutschland ist Genitalverstümmelung ein Straftatbestand.
Infos dazu finden Sie auf der entsprechenden Seite des Bundesministeriums für Gesundheit.
Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung
Das Bundesamt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt einen Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung zur Verfügung.
Er dient vor allem dem Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung in den Herkunftsländern während der Ferienzeiten und kann im Reisepass mitgeführt werden. Er kann den Familien helfen, sich dem gesellschaftlichen und familiären Druck in den Herkunftsländern entgegen zu stellen.
Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hat Anlaufmöglichkeiten für Sofort-Hilfe und aufklärende Aspekte zum Thema hier bereitgestellt:
https://www.hilfetelefon.de/gewalt-gegen-frauen/genitalverstuemmelung.html